Buchtipp

Discussion in 'German' started by Heaven, May 13, 2007.

  1. Heaven

    Heaven Senior Member

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    Ich hätte gern mal wieder so ein richtig, richtig gutes Buch!

    Wer kann mir eines empfehlen?
     
  2. Pronature69

    Pronature69 Member

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    Anna Gavalda - Zusammen ist man weniger allein (wenn ich es nicht schon tausend mal empfohlen habe)
     
  3. Green Shades

    Green Shades Beyond 355/113

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  4. Heaven

    Heaven Senior Member

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    Danke!
     
  5. ~grof~

    ~grof~ Member

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    Island, das ist der Gegenentwurf zu Brave New World ?

    Wir sind hier noch bei so einem Haruki-Buch, doch Aldoux hat definitiv was :)
     
  6. Green Shades

    Green Shades Beyond 355/113

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    Joa. Das kann man schon so sagen, allerdings ist es doch anders als einfach nur das Komplement.
     
  7. Southernman

    Southernman Boarischer Rebell

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    Die Versammlung hatte Alfredo einberufen, für acht Uhr, als das Geschirr vom Abendessen abgewaschen oder zumindest eingeweicht war und alle sich faul und zufrieden fühlten, sechs Bleche mit Shitkeksen kühlten auf dem Küchentisch aus, und für danach stand ein Film in Aussicht (ein Charlie Chaplin, den Star noch nicht gesehen hatte – spielte in Alaska, war das möglich?). Ein paar hatten sich für den Anlaß extra herausgeputzt, vor allem Verbie, denn eine Versammlung war ja im Grunde der beste Anlaß für eine Party, wenn schon alle Brüder und Schwestern aus ihren Hütten und Jurten und den hintersten Schlafkammern und entferntesten Stellen im wilden weiten Wald zusammengekommen waren, und wieso auch nicht? dachte sich Star, wieso nicht? Feiern wir ’ne Party. Wenn man sich’s recht überlegte, war ja sogar Kartoffelschälen für den vegetarischen Eintopf eine Art Party. Jedenfalls war es keine Arbeit, nicht im herkömmlichen Sinne, nicht wenn man dabei von den Brüdern und Schwestern umgeben war und einen keiner mit einer Stechuhr überwachte.
    Gegen halb acht stolzierte Verbie herein, in einem limonengrünen Cape über einer rosa Rüschenbluse, das Gesicht in der Farbe der gesprungenen Tonfliesen angemalt, die Norm eines Morgens, bevor irgend jemand aufgewacht war, auf der Westseite des Hauses aufgeschichtet hatte. Jiminy stand neben ihr, in Zylinder und Frack mit nichts darunter außer einem Donald-Duck-Slip, irgendein Neuankömmling schlug die Bongos, pat-a-pat-pat, die Hunde und sogar die Ziegen waren in höchster Unruhe, dann kam Maya hereingerauscht in einem Hochzeitskleid aus dem Secondhandshop, das aussah, als wären die Motten noch nicht ganz damit fertig geworden. Und Ronnie? Ronnie war Ronnie, kein Streß. Star selbst beließ es bei eine bißchen Theaterschminke – Peace-Zeichen auf beiden Backen und ein drittes Auge, komplett mit Lidschatten, mitten auf die Stirn gemalt.
    Es war wohl schon halb neun oder so, als Reba hereinkam und ein paar Kerzen entzündete und ein Tablett mit zwei Kannen Kamillentee und Keramikbechern auf dem großen Tisch in der Küche abstellte. Das war das Signal, jedenfalls verstand Star es so, und sie setzte sich neben Marco, Ronnie, Merry und Lydia auf den Fußboden, doch es dauerte noch eine weitere halbe Stunde, bis Norm Sender und Alfredo hereinkamen und Alfredo ein altes Zirkusmegaphon an die Lippen hob, um zu intonieren: »Also gut, Leute, also gut – könnte ich einen Moment lang um eure Aufmerksamkeit bitten... Und wir werden das hier so schmerzlos wie möglich ablaufen lassen, ich versprech’s euch...«
    Star fühlte sich gut – geradezu großartig –, als sie in die Kissen sank und Marco den Arm um sie legte und einer der hellbraunen Hunde sich quer durch den Raum schlängelte, um sich neben ihr einzurollen und den großen hellbraunen Kopf auf ihr Knie zu legen. In diesem Augenblick schien alles zusammenzulaufen, alle Fasern ihres Lebens, das Zerren zwischen den gegensätzlichen Polen: Ronnie, Marco, der Freak im Tipi, ihre Eltern und der Job und das Auto und das Zimmer, das sie zurückgelassen hatte, weil jetzt das hier ihre Familie war, weil sie hierhergehörte. Sie streckte die Beine aus und starrte nach oben in die Spinnweben, die an der Decke schwebten wie Miniaturwolkenbänke und einigen Weberknechten das Leben schwermachten. Bis Drop City hatte sie nie irgendwo hingehört.
    Wer war sie denn in der Schule gewesen? Eine kleine Miss Niemand. Den Titel hätte sie sich auf die Pullis sticken und quer über die Stirn tätowieren können. Und in kleineren Buchstaben darunter: Ich bin ein Stück Scheiße, trampelt auf mir herum. Bitte! Im Jahrbuch ihrer Highschool wurde nicht sie zur witzigsten Schülerin gewählt oder zur besten Tänzerin oder zum vielversprechendsten Talent, sie war weder in der Band noch in der Spanisch-AG, und als ihr Jahrgang nach zehn Jahren ein Wiedersehenstreffen veranstaltete, da konnte sich kaum jemand an sie erinnern. Die Typen bemerkten sie allerdings sehr wohl. Im College jedenfalls. Und wie sie sie bemerkten: in den Korridoren und der Cafeteria und in der Stadt, in den klaustrophobischen Gängen des Plattenladens – und in ihren Augen glitzerte die Begierde und eine animalische Raubgier, deren sie sich nicht einmal bewußt waren. Mit ein paar von ihnen ging sie aus, aber einen richtigen Freund hatte sie nie, und obwohl sie hübsch war – sie wußte, daß sie hübsch war –, kapierte sie nie, warum das eigentlich so war, außer daß irgend etwas nicht zusammenpaßte, so als wäre sie in der falschen Epoche und am falschen Ort geboren. Daran lag es, beschloß sie, und dieser Gedanke tröstete sie durch alle Enttäuschungen und die klischeehaften Abläufe der Tage und Monate und Jahre hindurch.
    Sie ließ die banalen Pädagogikvorlesungen und Grundkurse in Psychologie über sich ergehen, machte sich mit den sechs Hauptursachen für den Ersten Weltkrieg sowie mit Algorithmen und der inneren Anatomie des Regenwurms vertraut, obwohl sie immer ahnte, daß da noch mehr sein mußte.
    Sie bekam den Abschluß, legte Make-up auf und begann, an derselben Grundschule, auf die sie zehn Jahre zuvor gegangen war, eine dritte Klasse zu unterrichten, dabei bewohnte sie das Mädchenzimmer im Haus ihrer Eltern wie ein Fall von Entwicklungsstillstand, und jedermann sagte, sie sei ihrer Mutter so ähnlich, denn die war Lehrerin in der Vorschule und trug immer putzige Hosenanzüge und malvenfarbene Blusen mit Peter-Pan-Kragen in Kindergrößen, und das tat Star ebenfalls. Aber sie wollte nicht ihrer Mutter ähneln. Wenn sie abends heimkam, knüllte sie ihre Strumpfhose in dem Kindergrößen-Hosenanzug zusammen, schleuderte beides in die Ecke ihres Zimmers und legte sich ausgestreckt auf den Boden, an jedes Ohr einen Lautsprecher gepreßt, und starrte auf die Flecken und Wirbel der dreimal gestriche-
    nen Zimmerdecke, während Janis Joplin loslegte und durch die donnernden Akkorde von »Ball and Chain« glitt. Ihre Mutter plapperte unentwegt beim Abendessen, die Spitzengardinen aus Connemara hingen leblos am Fenster, ihr Vater bewachte seinen Teller, als wollte ihn ihm jemand wegnehmen. Was macht denn Tommy Nardone, ist der auch brav in der Klasse, weil ich nämlich seinen Bruder Randy hatte, und das war vielleicht einer, sagte ihre Mutter etwa, und sie nickte dazu und murmelte Zustimmung und kehrte dann in ihr Zimmer zurück, um das höhnische Grinsen der Rolling Stones auf dem Cover der LP Out Of Our Heads zu betrachten. Und dann ging sie eines ausgewaschenen, sterbenslangweiligen, seelezerfressenden Oktobernachmittags ins Kaufhaus, um sich Kosmetika zu kaufen, und traf dort in der Schallplattenabteilung auf Ronnie – oh, yeah, also, er war total ausgestiegen aus dem Spießerleben, und wie, und er verscherbelte hier nur so lange Platten, bis er endlich die Kohle zusammenhatte, um nach Kalifornien rüberzumachen, denn dort ging’s ja ab, dort und nirgendwo anders. Oh, yeah. Miniröcke. Shops mit Kifferzubehör, Haight-Ashbury. Lucy in the Sky with Diamonds.
    »Es hat ein paar Probleme gegeben«, sagte Alfredo soeben, »und ich bin sicher, daß jeder hier schon weiß, was Sache ist, aber wir – und da meine ich mich, Norm, Reba... quasi alle, die heute früh im Gemüsegarten gearbeitet haben, ja? –, also wir alle fanden, daß das inzwischen einfach irre ist...«
    »Was ist irre?« fragte Ronnie und stützte sich auf die Ellenbogen. »Ich würde sagen, eine Masse Sachen hier sind ziemlich irre, Mann.«
    »Die reinste Komödie der Irrungen«, flötete Merry dazwischen.
    Ronnie fuhr herum und hatte sein Publikum gefunden: »Tja, Irre sind des Menschen Los.«
    Die Leute stampften mit den Füßen, es gab schütteren Applaus, und ein, zwei wiehernde Lacher zeugten vor allem von etwas zu viel Gras im Kopf. Alfredo saß reglos da, leicht nach vorn über den Tisch gebeugt, und betrachtete jeden im Raum mit lodernden Blicken. Als der Lärm verebbte, fuhr er fort: »Ja, aber ihr alle wißt jedenfalls, daß zwei Klos für eine Kommune dieser Größe einfach nicht genug sind, ganz zu schweigen davon, daß wir jedes Wochenende von Besuchern überschwemmt werden, und wo jetzt der Sommer bevorsteht, kann das ja nur noch schlimmer werden...«
    »Hängt doch ein Schild auf«, sagte Jiminy. Er war ein schmächtiger Neunzehnjähriger mit einem Bart, der ebensogut angespülter Seetang hätte sein können, und er war noch keine Woche da. Star fand seinen Stil nicht übel. Sie hatte neulich draußen gesessen, grüne Bohnen geschnitten und mit Merry über Musikgruppen gequatscht, als er auf seinem Einrad die Straße raufgekommen war, neben sich einen schwarzen Scotchterrier, der mit ihm über die Bodenwellen schwebte. Ich bin angekommen! hatte er ausgerufen, und Scottie auch! Zwei Tage später wurde der Hund überfahren, und Jiminy hatte im hohen Gras geflennt wie ein kleines Kind. »Eintritt verboten, draußen bleiben, und damit bist du gemeint!«, so brüllte er jetzt seinen Vorschlag heraus und bemerkte die Ironie gar nicht. »So haben sie’s auf der ursprünglichen Drop City getan, in Colorado. Und auf Thunder Mountain auch.«
    »Ja, klar, aber wer soll denn dann entscheiden, wer rein darf und wer nicht? Sollen wir uns etwa hier irgendwelche Kontrolleure aufhalsen, meinst du das im Ernst?« Das war Verbie, die grünrosa schillerte wie ein Obstcocktail im Mixer. »Norm, was denkst du darüber? Willst du unser Oberbulle sein?«
    Norm Sender saß im Schneidersitz auf dem Tisch, um den Hals hing ihm eine Kuhglocke an einem Lederband. Er blickte nicht mal auf. »Kommt nicht in die Tüte.«
    »Das Problem«, sprach Alfredo weiter, und seine Stimme klang jetzt gepreßt, als hielte er etwas zurück, was ihn fast erstickte, »das Problem ist einfach das Scheißen im Wald. Und da ist jeder hier im Zimmer mitverantwortlich.«
    »Einschließlich der Hunde«, prustete jemand.
    »Mag sein, einschließlich der Hunde, aber es ist unhygienisch, Leute, und ich meine, die meisten nehmen sich nicht mal die Zeit, das Zeug zu vergraben, und das sind unsere eigenen Leute, wir von Drop City – die Wochenendhippies lassen den Müll und ihre Exkremente sowieso überall fallen. Und übrigens, wenn wir schon alle hier sind: es hat da gestern abend einen Vorfall im hinteren Haus gegeben... Ihr wißt ja, wovon ich rede.«
    Zustimmendes Murmeln. Verbie sagte zwei Worte – »Sky Dog« –, dann rief jemand laut: »Das waren die Schwarzen.«
    »Wirklich?« Alfredo ließ den Blick über alle Gesichter im Raum schweifen. »Na, ich weiß nicht, vielleicht fragen wir besser mal Pan hier vorne – er war doch dabei, oder nicht, Pan? Warum erzählst du uns nicht ein paar Einzelheiten? Komm schon, Ronnie, erleuchte uns – erzähl uns was von Liebe und Frieden, na?«
    Ronnie hatte schlaff in den Kissen gelegen, die Füße abgewinkelt, jetzt aber kam er so schnell auf die Beine, daß Star richtig zusammenfuhr – und den Hund verschreckte er ebenfalls. Auf einmal stand er zitternd in seinen abgeschnittenen Jeans und dem Batikhemd da, und sie wünschte, sie hätte etwas geraucht, irgendwas, denn das hier war Ronnie, auf den der Finger zeigte, er war Ronnie das Opfer, Ronnie der gekreuzigte Märtyrer. »Ich hab’s dir schon mal gesagt, Alter, und ich sage es jetzt euch allen, ich habe damit nichts zu tun gehabt...«
    »Ah, stimmt ja. Es war Sky Dog, richtig?« zischte ihn Alfredo an. »Und die Schwarzen.«
    Ronnie drückte es fast die Augen aus dem Kopf, der coole Ronnie, der arme Ronnie, und er hob die Hände beschwichtigend in die Höhe. »Ich meine, ich bin’s, Pan, ihr kennt mich doch alle. Glaubt ihr denn wirklich, ich würde so was tun, ganz egal, wie bekifft ich da war? – Hey, die war erst vierzehn, da käm ich doch in den Knast, wie man’s auch auslegt. Ich bin nicht so, zu der Sorte gehöre ich nicht. Ihr kennt mich doch alle, oder? Oder?«
    Irgendwer ganz vorne, eins der Gründungsmitglieder, stand jetzt ebenfalls auf. Star konnte ihn zuerst nicht sehen, daher hob sie den Kopf aus den Kissen und spürte, wie auch Marco neben ihr seine Haltung veränderte. Es war der Typ – der Freak –, den alle Mendocino Bill nannten, ein einhundert Kilo schweres Haarknäuel in einem Overall, den man auch als Scheuerlappen hätte verwenden können. »Hört mal her, darum geht es doch gar nicht, und ich bin auf Pans Seite, der ist mein Bruder, und ich glaube
    ihm – ich meine, was ist denn das hier, ein Femegericht oder was? Nein, Leute, worum es geht, das sind unsere schwarzen Brüder da draußen. Die schüchtern hier ständig die Leute ein und haben nichts weiter drauf, als billigen Rotwein zu saufen, von uns Dope zu schnorren und eine einzige Riesenparty zu feiern – und zwar auf unsere Kosten. Denn sie lassen ja wohl keine Mahlzeit aus, oder?«
    »Du Rassist«, sagte Verbie. Einzelne begannen zu zischeln.
    »Hey, so ist das überhaupt nicht, das ist unfair« – Mendocino Bills Stimme kletterte eine Oktave höher –, »immerhin hab ich in den Südstaaten demonstriert, in Selma und in Birmingham, und ich möchte nur wissen, wo ihr anderen damals wart, zum Teufel noch mal, und ich sag euch, mir ist auch scheißegal, wer jemand
    ist, aber wir müssen bei uns selbst für Ordnung sorgen, Leute, sonst rückt der Sheriff von Sonoma County hier an und erledigt das für uns – und ich glaube nicht, daß irgendwer von euch das gern hätte.«
    Daraufhin fingen alle gleichzeitig an zu reden, Anschuldigungen flogen hin und her, man hörte schlechte Witze, jemand blies wieder und wieder denselben Ton auf einer Mundharmonika, Ronnie kam aus dem Scheinwerferlicht und sank wieder zurück in sein Nest aus Kissen wie eine Eidechse, die in ihrer Spalte verschwindet. Lydia ergriff seine Hand, und Merry schenkte ihm ihr Ein-Millionen-Kilowatt-Lächeln, doch er wandte sich an sie, an Star, um sein Plädoyer zu halten. Er schüttelte den Kopf, und das galt auch Marco, denn Marco musterte ihn aufmerksam. »Ich schwöre es«, sagte Ronnie. »Ich schwöre, daß ich nichts gemacht hab.«
    »Rausschmeißen!« brüllte Jiminy. »Werfen wir die bloß raus!«
    »Wen?«
    »Die Schwarzen! Schmeißen wir die endlich raus hier. Norm, komm schon, Norm...«
    Alle Blicke richteten sich auf Norm Sender, der wie der Buddha in der Mitte des Tisches saß, und einen Sekundenbruchteil atmeten alle aus. Doch Norm wollte nichts damit zu tun haben: er senkte den Kopf und schrumpfte auf halbe Größe. »Land, Auf Das Jeder Ein Anrecht Hat«, sagte er.
    »Aber jemand muß etwas unternehmen – das geht ja da draußen zu wie in Der Herr der Fliegen, Mann.«
    »Ach ja, sicher doch – und wie geht es hier drin zu?«
    »Hey, fick dich doch.«
    »Nein, fick du dich!«
    Es war einfach zuviel. Star lag auf die Ellenbogen gestützt auf dem Bauch und wünschte, sie würden endlich den Mund halten. Sie fragte sich, wo Harmonie und Freude geblieben waren und weshalb sich alle hier andauernd anpflaumen mußten, und dann fiel ihr Blick auf Ronnie, sie sah in seine Augen und entdeckte in seinem Blick einen eiskalten Kern des Triumphs, versiegelt und unerreichbar für alles, was hip war. Sie wollte ihm das eben zum Vorwurf machen, als sie spürte, wie die Wärme an ihrer Seite verschwand, und dann blickte sie auf Marcos zerschlissene Jeans und das verblichene Leder seiner Stiefel, die sich jetzt in den Boden stemmten. »Hey!« sagte er. »Hey, alle mal herhören!« Er steckte sich zwei Finger in den Mund und brachte einen jener Fingernagel-auf-Schultafel-Pfiffe hervor, die man bei Footballspielen und Rockkonzerten hörte.
    Es wurde still. Alle sahen ihn an. »Sagt mal, warum geht nicht einfach jemand hin und redet mit ihnen?«
    »Mit denen reden?« wiederholte Alfredo ungläubig. »Wenn sie reden wollten, wären sie ja wohl hier, oder? Aber nein, die bleiben unter sich und saufen lieber, oder sie suchen sich die nächste Vierzehnjährige zum Vernaschen.« Er sah sich im Raum um. »Und wer sollte das denn machen? Du etwa? Meldest du dich freiwillig?«
    »Ja«, sagte Marco und nickte langsam. »Ich denke schon.«

    aus:
    [​IMG]

     
  8. Heaven

    Heaven Senior Member

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    ok, werde versuchen die mir mal vorzuknüpfen - soweit ich sie bekomme. im moment lese ich gerade "die dunkle seite der liebe" von rafik schami. ist bisher echt gut!
     
  9. sophie

    sophie Member

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    ich kann dir an aktuellen sachen "die alltägliche physik des unglücks" empfehlen, was vor allem auch sprachlich toll ist! mittelmäßiges heimweh und tender bar sind auch recht gut!
     
  10. ChildOfNature

    ChildOfNature Member

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    Frank McCourt - Die Ache meiner Mutter

    Ein sehrsehrsehr gutes Buch, der Autor hat einfach nur eine unbeschreibliche Gabe sehr schlimme Sachen auf eine lustige art und weise zu erzählen
    Leseprobe?

    -->
    Mein Vater und meine Mutter hätten in New York bleiben sollen, wo sie sich kennengelernt und geheiratet haben und wo ich geboren wurde. Stattdessen sind sie nach Irland zurückgekehrt, als ich vier war und mein Bruder Malachy drei, und die Zwillinge Oliver und Eugene waren eben gerade ein Jahr alt, und meine Schwester Margaret war tot und weg.
    Wenn ich auf meine Kindheit zurückblicke, frage ich mich, wie ich überhaupt überlebt habe. Natürlich hatte ich eine unglückliche Kindheit; eine glückliche Kindheit lohnt sich ja kaum. Schlimmer als die normale unglückliche Kindheit ist die unglückliche irische Kindheit, und noch schlimmer ist die unglückliche irische katholische Kindheit. Überall prahlen oder winseln die Menschen ob des Jammers ihrer frühen Jahre, aber nichts lässt sich mit der irischen Version vergleichen: die Armut; der träge, redselige, trunksüchtige Vater; die fromme, vom Schicksal besiegte Mutter, die am Herdfeuer stöhnt; pompöse Priester; drangsalierende Schulmeister; die Engländer und die grässlichen Dinge, die sie uns achthundert lange Jahre lang angetan haben.
    Hauptsächlich waren wir: nass.
    Draußen im Atlantischen Ozean ballten sich die Regenmassen zusammen, um langsam den Shannon hinaufzutreiben und sich auf immer in Limerick niederzulassen. Von der Beschneidung des Herrn bis Silvester durchfeuchtete der Regen die Stadt. Er schuf eine Kakophonie aus trockenem Husten, bronchitischem Rasseln, asthmatischem Keuchfauchen, schwindsüchtigem Krächzen. Nasen verwandelte er in schleimige Quellen, Lungen in prall mit Bakterien vollgesogene Schwämme. [...]
    Der Regen trieb uns in die Kirche -- unsere Zuflucht, unsere Kraft, unser einziges trockenes Haus. Zu Messe, Segen und Novene drängten wir uns in dicken, feuchten Klumpen zusammen, durchdösten das Geleier des Priesters, und wieder stieg Dampf auf von unseren Gewändern, um sich mit der Süße von Weihrauch, Blumen und Kerzen zu mischen.
    Limerick war für seine Frömmigkeit berühmt, aber wir wussten, es war nur der Regen.
     
  11. Green Shades

    Green Shades Beyond 355/113

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